www.kyno-logisch.ch
Jeder Hund zeigt erwünschtes Verhalten- auch wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde ist.
Es liegt an uns, dieses Verhalten einzufangen, zu verlängern und auszubauen. Ulrike Seumel
Das Wort "Dominanz" ist das auch heute noch am häufigsten verwendete Wort in der Hundeerziehung. Zieht ein Hund an der Leine, ist er "dominant". Drängt er als erster zur morgendlichen Gassirunde durch die Tür, ist er "dominant". Liegt er gar auf dem Sofa oder im Bett, ist er "dominant". Immer wenn ein Hund sich entgegen den Wünschen seiner Menschen benimmt, wird er auch heute noch von vielen "Experten" als "dominanter Hund" enttarnt, der einen höheren Rang in der Familie anstrebt.
Die Dominanztheorie wurde entwickelt, um die Beziehungen zwischen Mitgliedern organisierter Tiergesellschaften beschreiben, erklären und vorhersagen zu können. 1802 entdeckte Pierre Huber erstmalig Rangordnungen bei Hummeln. 1922 wurde dieses Modell von Schjelderupp-Ebbes auf Wirbeltiere angewendet. Seine Arbeit beschrieb das Sozialverhalten von Hühnern, die einfache, lineare Hierarchien für den Sozialstatus bilden (die sog. "Hackordnung").
Seither haben viele Forscher behauptet, dass Dominanz ein Merkmal sozialer Beziehungen sei, und haben diese Theorie in Bezug auf weitere Tierarten untersucht. In Folge von Schwierigkeiten mit dieser starren bei Hühnern beobachteten "Hackordnung" auch die Beziehungen anderer Tiergesellschaften beschreiben zu können, mußten die Forscher die Dominanz-Theorie immer wieder anpassen, umformulieren oder anderweitig erweitern, damit die Dominanz-Theorie noch auf die von den Forschern gemachten Beobachtungen zutraf.
Als Ergebnis dieser jahrelangen Forschungen, Kontroversen und Debatten kommt es häufig zu Missverständnissen und Verwirrung. Häufig diskutieren Wissenschaftler (und nicht nur die) die Dominanz-Theorie ohne eine präzise und klare Definition im Fokus zu haben, oder sie gehen möglicherweise auch von verschiedenen Definitionen aus. Widersprüchliche Versuchsergebnisse spiegeln vermutlich unterschiedliche Prämissen wider und fördern damit weiter dui Verwirrung, die die Dominanztheorie umgibt.
Wichtig anzumerken bleibt, dass bis heute immer noch keine Einigkeit darüber besteht, was "Dominanz" bedeutet [Drews, C. (1993). The concept and definition of dominance in animal behaviour. Behaviour 125(3-4), 283-313)]!
Eine weitere wichtige Grundlage für die Verbreitung der populäre "Dominanztheorie" war eine Studie über Wölfe von David Mech, die er in seinem Buch "The Wolf: Ecology and Behavior of an Endangered Species", welches er 1968 geschrieben und 1970 erstmals veröffentlicht hat. 1981 wurde dieses Buch dann als Taschenbuch nochmal veröffentlicht, und wird immer noch vertrieben, obwohl Mech selbst mittlerweile unzählige Male an die Verleger geschrieben hat, und darum bat, dieses Buch nicht mehr zu vertreiben, da die darin enthaltenen Informationen völlig veraltet und nicht richtig sind.
Eines der gravierendsten Probleme der Dominanztheorie ist, dass die Theorie vom "Alpha-Hund" der sich gegenüber seinen "Untergebenen" immer und in jedem Fall durchsetzen muss - egal mit welchen Mitteln - 1:1 auf das Verhältnis des Menschen auf seinen Hund übertragen wurde!
In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzustellen, daß es keine einzige wissenschaftliche Studie gibt, welche die "Dominanz" gegenüber dem Menschen beim Hund belegen würde!
Die Anwendung der Dominanztheorie in der Hundeerziehung mit ihren "Rangreduktions-Programmen" schafft jedoch mehr Probleme, als das sie lösen könnte. Menschen setzen gern "Dominanz" mit "Aggression" gleich, was dazu führt, das sie "dominant sein" als eher körperliche Überlegenheit interpretieren, die dann gegenüber dem Hund auch mit physischer Gewalt oder Mittel, die - isoliert und in anderen Zusammenhängen betrachtet - eher als "Psychoterror" durchgehen würden, durchgesetzt wird.
Der Glaube an die Richtigkeit der Dominanztheorie und ihrer Anwendung in der Hundeerziehung führt dann dazu, dass Menschen eine Menge - teils merkwürdiger - Dinge tun, um sich ihrem Hund gegenüber als "Rudelchef" und Rudelführer zu beweisen, und alles tun, um in ihrem heimischen "Rudel" der "Alpha-Hund" zu sein.
Die "Dominanztheorie" wurde nunmehr seit Jahrzehnten auf Hunde übertragen und angewandt. Auswüchse wie der "Alphawurf", mit dem angeblich gegenüber dem Menschen "dominante" Hunde dann "behandelt" wurden, oder stunden- bis tagelanges ignorieren der Hunde bilden da nur die Spitze des Eisberges.
Weitere, beliebte - völlig unnütze und teils einfach nur lächerliche, teils aber auch schlichtweg gefährliche - Techniken zur sog. "Rangreduktion des Hundes", die dem Menschen den unbedingten "Alpha-Status" im "Rudel" sichern sollen sind:
Ersparen Sie sich, und Ihrem Hund bitte diesen Unsinn, der ohnehin zu nichts weiterem führt, als Stress und Unruhe in das Zusammenleben mit Ihrem Hund zu bringen!
Hunde können ruhig vor ihren Menschen essen, und - wenn Mensch dies möchte - auch im Bett oder auf dem Sofa liegen, ohne daß es deswegen zu einer "Palastrevolution" kommt!
Ihr Dackel wird auch nicht gleich die Übernahme der Weltherrschaft anpeilen, nur weil Sie ihn bei einem Zerrspiel gewinnen lassen, und er stolz "wie Oskar" mit der Beute abwackelt! Im Gegenteil: Wenn sie beide kräftig gemeinsam mit dem Spieltau gezerrt und gekämpft haben (also gemeinsam die "Beute" erlegt haben), was spricht dagegen, dass Sie als souveräner Chef ihrem fleissigen Mitarbeiter großzügig einfach mal die "Beute" schenken, und dadurch durchaus im Ansehen Ihres "Mitarbeiters" steigen?
Und ein Hund der an der Leine zieht ist höchstwahrscheinlich kein bisschen "dominant"! Vermutlich hat er es einfach nur eilig (wenn er dieses Verhalten nicht ständig zeigt), oder er hat einfach nur noch nicht gelernt, ohne Ziehen an der locker durchhängenden Leine zu laufen (dies ist wohl mit Abstand die häufigste Ursache für "leinenzerrende Hunde")!
Lassen Sie sich bitte auf keinen Fall von irgendwelchen "Experten" dazu verleiten, Ihren Hund zur "Rangreduktion" mit dem sog. "Alpha-Wurf" oder durch schmerzhaftes Ziehen an den Lefzen zu "therapieren". Diese "Techniken" sind brutal und sind völlig überflüssig! Sie machen den Hund hingegen häufig ängstlich - oft gegenüber dem Besitzer - und führt unter Umständen zu einer Eskalation der Aggression, weil sich der Hund von seinen eigenen Menschen (zu Recht!) angegriffen fühlt, und um sein Leben kämpft!
Die Veröffentlichung "Dominance in domestic dogs - useful construct or bad habit?" (Dominanz bei Haushunden - nützliches Modell oder schlechte Angewohnheit?) belegt, daß Hunde nicht davon motiviert sind, ihren Platz in der Rangordnung ihres Rudels zu behaupten, wie viele bekannte Hundetrainer das leider immer noch predigen.
Dr. Rachel Casey, Leiterin der Abteilung "Companion Animal Behaviour and Welfare" der Bristol University, sagt: "Die pauschale Annahme, dass jeder Hund durch ein inneres Verlangen zur Kontrolle von Menschen oder Hunden getrieben wird, ist, offen gesagt, lächerlich. Dies unterschätzt in großem Maße die komplexen kommunikativen Fähigkeiten und Lernbereitschaft von Hunden. Diese Annahme führt ebenso zu aversiven Trainingstechniken, was den tierschutzrelevant ist und aktuelle Verhaltensprobleme auslöst."
David Mech versucht seit Jahren - bislang offenbar leider vergeblich - die weitere Verbreitung seines selbst als Fehlers erkannten Beitrags zur "Dominanztheorie" zu stoppen. Lt. Mech ist das Konzepts des "Alpha Wolfs", welche beinhaltet, daß die Individuen eines Rudels ständig untereinander und miteinander konkurrieren, um selbst "Alpha" zu werden, schlicht und ergreifend falsch.
Die seinerzeit gemachten Beobachtungen wurden an einzeln gefangenen Wolfs-Individuen, die man wahllos in räumlich begrenzte Gehege gesperrt hatte, und die keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen zueinander hatten, gemacht worden, und niemals an freilebenden Wolfsrudeln. Freilebende Wolfsrudel sind aber - im Gegensatz zu den beobachteten Gehegewölfen - immer auch Familienverbände, die aus den beiden Elterntieren und ihrem Nachwuchs aus mehreren Jahren bestehen.
Jeder Mensch wird einsehen, dass es somit eine ganz natürliche "Hierarchie" gibt, die - wie in einer menschlichen Familie auch - nicht ständig durch "Machtkämpfe" geklärt werden muß: Die erfahrenen Alttiere führen das Rudel mit ihrer natürlichen Autorität und Kompetenz unangefochten an (genau wie menschliche Eltern auch ihre Familie "anführen"), während die älteren Jungtiere lediglich die jüngeren Geschwister dominieren, und diese auch betreuen (z.B. wenn der Rest des Rudels jagen geht).
In solchen natürlichen Wolfsrudeln verlassen einige der geschlechtsreifen männlichen und weiblichen Wölfe dann irgendwann ihr Rudel, suchen sich einen Partner und gründen dann ihr eigenes Rudel. Hier sind dann natürlich auch keine "Rangkämpfe" um das "Recht zur Fortpflanzung" notwendig! Andere erwachsen gewordene Wölfe bleiben noch bei ihrem Familienrudel, und pflanzen sich dort durchaus auch als "Subdominante" Weibchen/Männchen fort.
In Krisenzeiten, und wenn das Futter knapp ist, werden in Wolfsrudeln übrigens zuallererst die Welpen mit Nahrung versorgt. Denn sie sind die wichtigste Investition in die Zukunft für das Rudel! Es ist also keineswegs so, dass "immer die Alphas" zuerst essen, und die "unterlegenen" Wölfe ständig wegbeissen, wie uns die "Dominanztheorie" ebenfalls weismachen will...
Lesen Sie hier die Ausführungen von David Mech in englisch: David Mech: Outmoded notion of the alpha wolf
Die deutschen Übersetzung des Textes von D. Mech: David Mech: Was ist eigentlich mit dem Begriff Alpha-Wolf passiert?
"Dominieren" kann ein Hund übrigens demzufolge auch bestenfalls andere Hunde, aber nicht seine Menschen. Denn eine wie auch immer geartete "Dominanz" wird Mech's Erkenntnissen zufolge immer nur artintern ausgelebt. Ein Hund aber ist ein Hund, und ein Mensch ein Mensch. Menschen und Hunde - auch wenn sie im selben Haushalt leben, bilden KEINE gemeinsame Art! Und nein, unsere Hunde sind nicht so dumm zu denken, dass wir Menschen nur "merkwürdig aussehende Hunde" wären!
"Dominanz" hat immer auch etwas mit Ressourcenkontrolle zu tun. Schon allein aus diesem Grund sind wir Menschen hier klar im Vorteil!
Für mich sieht das eher danach aus, als ob WIR es sind, die unsere Hunde dominieren, und NICHT umgekehrt. Und wie sieht das für Sie aus?
Ein "dominanter" Hund ist im Umgang mit anderen Hunden übrigens ein sehr souveräner Hund, welcher es nicht nötig hat, andere Hunde ständig herauszufordern oder unterzubuttern. Dies tun nur unsichere oder junge Hunde. Wirklich "dominante" Hunde jedoch halten in einer Gruppe auch ohne weitere Konflikte heraufzubeschwören, Ordnung, und leiten eine Gruppe einfach dadurch, dass sie sehr ruhig, tolerant und generell eher ausgeglichen sind. Sie lassen sich auch durchaus mal von einem übermütigen Jungspund ein Spielzeug wegnehmen, ohne dass sie ihren Status einbüssen. Sie sind einfach souverän.
Wir Menschen nehmen so einen tatsächlich dominanten, souveränen Hund eher als einen sehr ausgeglichenen, ruhigen, sehr angenehmen Hund wahr, der in sich ruht, und weder mit anderen Hunden noch mit Menschen irgendwelchen großen Stress hat.
Die Hunde aber, die wir Menschen oft als "dominant" bezeichnen, strotzen meist vor Unsicherheit, oder stehen unter Stress - oft auch durch falsche Erziehungsmethoden! Solche Hunde haben z.B. Angst sich ihren "Schatz" wegnehmen zu lassen, weil sie befürchten, ihn nicht wiederzuerhalten, und reagieren dann aggressiv. Wird dann mit den o.g. "Rangreduktions-Methoden" versucht dieses Verhalten zu ändern, verschlimmert es sich dadurch nur noch mehr, statt sich zu bessern ... ein Teufelskreis!
Ein Hund allerdings, der in seiner Zweibein-Familie gelernt und erfahren hat, dass er "seinen Menschen" vertrauen darf, dass sie zu ihm halten und ihn notfalls verteidigen/schützen, die ihn an ihrem Leben teilhaben lassen (dazu gehört auch mal, ihm einige Aufgaben zu delegieren, die er altersgemäß bewältigen kann, und die für "das Rudel" wichtig sind...damit er an den steigenden Anforderungen wachsen kann, und Selbstvertrauen entwickeln kann), der wird mit zunehmendem Alter immer selbstsicherer und souveräner werden...und für uns Menschen ein sehr umgänglicher, ruhiger und eher "unsichtbarer" Hund werden.
mit herzlichem Dank an
Antje Reinecke ehem. Deckel on Tour
Diese Webseite wurde mit Jimdo erstellt! Jetzt kostenlos registrieren auf https://de.jimdo.com